Nein zur Gemeindefusion (Teil III) – Tollkühne Kalkulationen

Die „Machbarkeitsstudie: »Vertiefte Interkommunale Zusammenarbeit«“ prophezeit monetäre Ergebnisverbesserungen in Höhe von 1.087.000 € jährlich im Falle einer Fusion der drei Nordkreis-Kommunen Lahntal, Münchhausen und Wetter (La-Mü-We). Vorausgesagt werden diese auf sieben „wesentlichen Feldern“ (S. 226). Dies sind: Gemeindegremien, Bürgermeister, Finanzwirtschaftliche Dienstleistungen, Gremienbetreuung, Brandschutz, Differenz aus Kommunalem Finanzausgleich und Kreis- und Schulumlage sowie Zinsentlastung aufgrund von Entschuldung. Feld für Feld sollen daher zunächst die der Prognose zugrunde liegenden Kalkulationen näher beleuchtet werden.

Im Falle der Aufwendungen für die Gemeindegremien wird eine Entlastung von 82.400 EUR prognostiziert. Allerdings liegt dem eine einfache Überschlagsrechnung (S. 137) mit ungenannter Prämisse zugrunde. Die Summe der bisherigen Ausgaben für die Gemeindegremien in Lahntal, Münchhausen und Wetter (145.893 EUR) wird durch die Gesamtzahl der Mandate in den drei Gemeindevertretungen (85 Mandatsträger) dividiert und anschließend mit der Zahl der künftigen Mandate – nach § 38 Abs. 1 HGO hätte La-Mü-We 37 Mandatsträger – multipliziert. Unterstellt jedoch in der Berechnung, und das ist die Prämisse, werden konstante Aufwandsentschädigungen. Nur, warum sollten diese gleichbleiben? Die Mandatsträger einer fusionierten Gemeinde hätten schließlich die Arbeit von zuvor drei kommunalen Gemeindegremien zu leisten und noch dazu erheblich höhere Entfernungen zu den Sitzungsorten zurückzulegen. Wird die Annahme konstanter Aufwandsentschädigungen fallengelassen, schmilzt die prognostizierte Entlastung mit einem Faktor von 2,3 (steigende Aufwandsentschädigung) vollständig ab.

Die Ersparnis mit dem Wegfall zweier hauptamtlicher Bürgermeisterstellen – bei einer Fusion ist nur noch eine Bürgermeisterstelle zu besetzen  – weist die Machbarkeitsstudie mit jährlich 282.000 EUR aus. Auch haben die drei Bürgermeister Manfred Apell (Lahntal), Peter Funk (Münchhausen) und Kai-Uwe Spanka (Wetter) bereits angekündigt, für ein solches Amt nicht zu kandidieren (Oberhessische Presse, 21. Mai 2021). Auf haushalterische Aspekte von damit verbundenen Pensionszahlungen (drei zusätzlich zu leistende Ruhegehäter) muss hier nicht näher eingegangen werden, da sie sowohl mit als auch ohne Fusion anfallen, ergo anfallende Kosten zwischen einem Vorher und einem Nachher sich bilanziell kompensieren. Dennoch macht die unterschiedliche Länge in den Amtszeiten der prognostizierten Ersparnis zumindest in der genannten Höhe einen Strich durch die Rechnung. Würde ein Zusammenschluss – zum beabsichtigten Zeitplan siehe hier – tatsächlich zum 1. Januar 2023 realisiert, schiede Bürgermeister Spanka, zuletzt wiedergewählt am 18. Februar 2018, erst im Februar 2024 aus dem Amt. Die Hessische Gemeindeordnung (HGO) sieht in diesem Falle für ihn einen Anspruch auf Verwendung als hauptamtlicher Beigeordneter unter Beibehaltung der bisherigen Besoldung vor (§ 16 Abs. 3 HGO).

Generell widmet die Machbarkeitsstudie der Möglichkeit zur Einsetzung hauptamtlicher Beigeordneter keinerlei Überlegungen. Gerade eine Fusion aber könnte es aufgrund von Unübersichtlichkeiten, Informationsasymmetrien und Macht-Ungleichgewichten erforderlich erscheinen lassen, ein Gegengewicht zur Position des Bürgermeisters zu installieren. Gleiches gilt für die mit zunehmender Gemeindegröße sich verändernde Ausgestaltung kommunaler Entscheidungsprozesse, bspw. in Form von Koalitionen mit entsprechenden Postenverteilungen. Rechtlich stehen dem nur geringe Hürden entgegen. Die Hessische Gemeindeordnung (§ 44 Abs. 2 HGO) macht lediglich zur Vorgabe, die Zahl der hauptamtlichen Beigeordneten darf jene der ehrenamtlichen nicht übersteigen. Offenkundig aber ist, dass eine Aufrüstung der Verwaltung mit weiteren Hauptamtlichen das Einsparpotenzial „Bürgermeister“ erheblich konterkarieren würde.

Für den Bereich Finanzwirtschaftliche Aufgaben (Kämmerei, Gemeindekasse, Steueramt) wird das jährliche Einsparvolumen mit 159.600 EUR beziffert, für Gremienbetreuung jenes mit 65.200 EUR benannt. Erstaunlich ist: Ersteres beruht zu 82,5 Prozent (61.500 EUR), letzteres zu 94,3 Prozent (131.610 EUR) auf Personaleinsparungen (S. 144/145). Erstaunlich ist das deshalb, weil hier die Option, fusionsbedingt in einem Produktbereich des kommunalen Haushalts überzählige Personalstellen könnten auf andere Bereiche umgewidmet werden, unter der Hand wegfällt. An anderer Stelle der Machbarkeitsstudie ist denn auch zu lesen, die 3,2 wegfallenden Stellen (2,14 in der Finanzverwaltung, 1,06 in der Gremienbetreuung) könnten „mit anderen Aufgaben betraut werden, zu der die Kommunen verpflichtet sind, die aber derzeit nicht erbracht werden können“ (S. 266). Hier aber wird die Einsparung auf Basis von Entlassungen beim Personal berechnet.

Die konstatierten Einsparungen beim Brandschutz in Höhe von 3.700 EUR – sie resultieren daraus, dass La-Mü-We im Unterschied zu den Einzelkommunen nicht länger Aufwandsentschädigungen für drei Gemeinde- bzw. Stadtbrandinspektoren und deren Stellvertreter leisten müsste, sondern jeweils lediglich für einen – sind allein von der haushalterischen Größenordnung als unbedeutend anzusehen.

Die Differenz der Zuweisungen aus dem Kommunalen Finanzausgleich (KFA) auf der einen sowie den abzuführenden Summen aus der Kreis- und Schulumlage (KU/SU) auf der anderen Seite wird mit einem Plus von 380.000 EUR ausgewiesen. Der Betrag setzt sich zusammen aus 791.847 EUR KFA minus 411.840 EUR KU/SU, kann jedoch in Hinsicht auf Plausibilität und Tragfähigkeit nicht überprüft werden. Die Machbarkeitsstudie (S. 210/211 u. 213) beruft sich hier auf fiktiv simulierte Berechnungen auf Grundlage der Finanzplanungserlasse der drei Kommunen für das Jahr 2019, ohne jegliche Zahlen vorzulegen. Ein Nachvollzug der Simulationen ist mithin nicht möglich.

Ebenfalls letztlich nicht prüfbar sind die Aussagen zu einer anfallenden Zinsentlastung in Höhe von jährlich 114.500 EUR aufgrund von Entschuldung. Der Sachverhalt einer Entschuldung selbst – genauer: eine Teilentschuldung in einer Höhe von 6.256.000 EUR – bleibt dabei unbenommen. Der Betrag in der genannten Höhe resultiert aus der im Mai 2020 geänderten Schutzschirmverordnung des Landes Hessen. Im Falle einer Gemeindefusion wird demnach eine Entschuldungshilfe von 350 EUR je Einwohner bezogen auf maximal 46 Prozent der Kernhaushaltsschulden gewährt.

Stutzig jedoch macht die Bezeugung (S. 226 u. 279), fortan blieben La-Mü-We jährlich (!) 114.500 EUR an Zinsen erspart. Tatsächlich? Fortlaufende Zinsentlastungen in konstanter Höhe? Nach den Gesetzen der Zinsrechnung stünden bei gleichbleibender Kreditlaufzeit vielmehr abnehmende Zinsen zu erwarten, unter Verkürzung der Kreditlaufzeit ist ein umgekehrter Effekt modellierbar. Der in diesem Punkt aufscheinende Widerspruch in der Machbarkeitsstudie kann nicht aufgelöst werden. Die genauen Konditionen der Kommunalkredite sind nicht bekannt.

Die Kalkulation der Einnahmenseite einer Fusion, so muss wohl festgestellt werden, kann ein gewisses Maß an Tollkühnheit nicht verbergen. Vielmehr dürfte die von der Machbarkeitsstudie behauptete Einsparsumme in Höhe von 1.087.000 EUR nicht zu realisieren sein. Etwa 500.000 EUR des prognostizierten jährlichen Einsparpotenzials sind in der konkreten Höhe nicht nachvollziehbar, wenngleich nicht in Abrede zu stellen ist, dass positive Effekte infolge Kommunalem Finanzausgleich und Teilentschuldung zu gewärtigen sind. Etwa 600.000 EUR an ausgewiesenen Ergebnisverbesserungen dürften nicht oder sehr viel geringer anfallen. Leider ist ein ähnliches Verdikt auch für die Ausgabenseite zu treffen.

Die Machbarkeitsstudie (S. 285) weist die einmaligen Fusionskosten für La-Mü-We unter Berufung auf die Erfahrungen der Gemeindefusionen von Oberzent und Wesertal mit 206.000 EUR aus. Inwieweit Oberzent im Odenwaldkreis (10.153 Einwohner, fusioniert am 1.1.2018) und Wesertal im Landkreis Kassel (5.112 Einwohner, fusioniert am 1.1.2020) allein von der Einwohnergröße als Vergleichsmaßstab herangezogen werden können, wird nicht mitgeteilt. Ebenso bleibt jeglicher Hinweis aus, welche der dort angefallenen Kosten in die Berechnung der Fusionskosten von La-Mü-We sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht einflossen.

Dass der Betrag von 206.000 EUR aus der Luft gegriffen scheint, tatsächlich wohl eher ein 10–20faches davon als Gründungskosten zu erwarten stehen, zeigt folgende Aufstellung: Der Austausch aller Ortsschilder in künftig 22 Ortsteilen, das Auswechseln der Schilder von 38 doppelt vorhandenen Straßennamen und die Erstellung einer Eröffnungsbilanz für eine fusionierte Kommune dürften bereits mehr als die Hälfte des avisierten Betrags übersteigen. Hinzu kämen die Kosten für neue Personalausweise, Reisepässe und weiterer Dokumente wie Fahrzeugscheine u.v.m. – § 17 Abs. 6 HGO spricht generell von Rechtshandlungen, die aus Anlass von Änderungen des Gemeindegebiets für die Einwohner abgabenfrei zu erbringen sind – für mehr als 19.000 Bürgerinnen und Bürger der Fusionskommune. Werden das Kostendeckungsprinzip unterstellt und die von der Gemeinde Lahntal erhobene Gebühr von 28,80 EUR für einen Personalausweis sowie 60 EUR für einen Reisepass als Berechnungsgrundlage herangezogen, bedeutete allein dieser Posten Kosten von weit mehr als 1,7 Mio. EUR.

Der Hinweis, im Falle von Oberzent und Wesertal habe das Land Hessen die Gestehungskosten der Fusion „zu 100 %“ (S. 285) übernommen, kann aus drei Gründen nicht überzeugen. Erstens besteht auf eine Kostenübernahme kein Rechtsanspruch, es wäre eine freiwillige Leistung des Landes, mithin eine Spekulation der Fusionsträger vor Ort. Zweitens schweigt sich die Machbarkeitsstudie, wie gezeigt, über die anfallenden Realkosten für zu übernehmende Rechtshandlungen gänzlich aus. Und drittens werden weitere Gestehungskosten dort ebenfalls vollständig ausgeblendet.

Nicht in Rechnung gestellt werden etwa die Integrationskosten in der Wasserversorgung (Wetter und Lahntal sind im Zweckverband Mittelhessische Wasserwerke organisiert, Münchhausen unterhält eine eigene Wasserversorgung), im Bereich Bauhof (Wetter, Lahntal und Cölbe betreiben gemeinsam einen Bauhof als Zweckverband, Münchhausen unterhält einen Bauhof im Eigenregie), bei der Straßensanierung (Lahntal besitzt wiederkehrende Straßenbeiträge, Münchhausen und Wetter nicht), bei der Feuerwehr (zu fusionieren sind drei Freiwillige Feuerwehren) und in der kommunalen Verwaltung (zu fusionieren sind drei bislang eigenständige Verwaltungsorganisationen) generell. Das all dies nicht zum Nulltarif zu haben ist, dürfte offenkundig sein.

Insgesamt zeigt der prüfende Blick auf die Kalkulationen, die monetären Verbesserungen im Falle einer Fusion werden überschätzt, die Kosten unterschätzt. Somit ist als Zwischenfazit an dieser Stelle zu konstatieren: Die auf Basis von empirischen Untersuchungen zu Gemeindefusionen – wie in Teil I dargelegt – gewonnene Aussage, die erhofften Einsparpotenziale und Effizienzgewinne werden fusionsbedingt regelmäßig nicht erzielt, steht auch für La-Mü-We zu erwarten.

Teil I – Die Risiken
Teil II – Kein Einflussgewinn
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