Nein zur Gemeindefusion (Teil I) – Die Risiken

Am 26. September 2021, dem Tag der Bundestagswahl, findet gleichzeitig ein Bürgerentscheid zur Gemeindeneugründung – zu der Frage, ob Lahntal, Münchhausen und Wetter zu einer Kommune fusionieren – statt. Dazu wurde im Vorfeld von den Gemeindevertretungen eine „Machbarkeitsstudie: »Vertiefte Interkommunale Zusammenarbeit«“ in Auftrag gegeben. Doch ist deren Name bereits Programm. Auf Risiken wird darin nicht hingewiesen, auch nicht auf Studien zu solchen Risiken.

Dabei sind die Auswirkungen von Gebietsreformen inzwischen auch wissenschaftlich untersucht, allerdings sind die Ergebnisse alles andere als rosig. Die von Gemeindefusionen erhofften Einsparpotenziale und Effizienzgewinne werden regelmäßig nicht erzielt. Stattdessen wächst die räumliche und politische Distanz zwischen Wählern und Entscheidern, geht die Identifizierung der Bürger mit ihrer Gemeinde verloren, sinkt die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen und vieles mehr. Das zumindest sind die Erkenntnisse zweier Wissenschaftler vom Ifo Institut und vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung auf Basis der Auswertung von 30 empirischen Studien, die sie 2017 erstellten:

– Blesse, Sebastian / Rösel, Felix: Gebietsreformen: Hoffnungen, Risiken und Alternativen. Ifo Working Paper No. 234, 01-33.
– Dies: Was bringen kommunale Gebietsreformen? Kausale Evidenz zu Hoffnungen, Risiken und alternativen Instrumenten. ZEW Discussion Paper No. 17-049.

Ihr Fazit ist geradezu verheerend: „Hinter Gebietsreformen steht zumeist die Hoffnung auf Einsparungen durch Nutzung von Skaleneffekten, einer Stärkung der Leistungsfähigkeit der Verwaltungen sowie lokales Wachstum, insbesondere für kleinere Kommunen. […] Wir zeigen, dass die erhofften fiskalischen Effizienzrenditen von Gebietsreformen in der Vergangenheit deutlich überschätzt wurden, während mögliche Auswirkungen auf die politische Teilhabe systematisch unterschätzt wurden. Nur wenige Studien können bis dato mittelfristige Einspareffekte durch Gebietsreformen nachweisen. Eine zunehmende Zahl von Untersuchungen zeigt dagegen einen Rückgang der Demokratiezufriedenheit, eine sinkende Wahlbeteiligung oder eine Stärkung populistischer Strömungen durch Gebietsreformen.“

Die unbeabsichtigten Nebenwirkungen von Fusionen werden in folgender Tabelle wiedergegeben:

Quelle: Ifo Working Paper No. 234, 01-33.

Vor dem Hintergrund, dass die Bürger nach Fusionen weniger zufrieden mit der Demokratie sind, seltener zur Wahl gehen und die Ungleichheit zwischen den Ortsteilen zunimmt, empfehlen die Forscher alternative Instrumente der interkommunalen Zusammenarbeit. Dazu zählen Funktionalreformen, verschiedene Maßnahmen der Verwaltungsmodernisierung und interkommunale Kooperationen.

Dass Gemeindefusionen sich zudem negativ auf das Heimatgefühl auswirken, ist inzwischen auch statistisch nachgewiesen. Nach Fusionen, wie hier nachzulesen ist, sank die durchschnittliche Identifikation der Einwohner mit ihrer Kommune um fast zehn Prozentpunkte. Überschaubare Strukturen und die Verbundenheit mit dem eigenen Wohnort sind demnach ein wichtiger Faktor für Heimatgefühl, Ehrenamt und Partizipation vor Ort.

Schließlich sei auch noch auf das Beispiel Cölbe verwiesen. Ursprünglich als vierter Kandidat für einen Zusammenschluss zur Nordkreis-Kommune vorgesehen, erkannte man dort frühzeitig die Risiken einer Fusion und stieg rechtzeitig aus. Dafür allerdings ist es in Lahntal, Münchhausen und Wetter zu spät. Dort muss es das Bürgerbegehren richten.

Nachtrag – 18.05.2021
Eine Untersuchung zu den Auswirkungen von Gebietsreformen auf die Kommunalpolitik in kleinen Gemeinden Bayerns zwischen 1969 und 1978 – im Zeitraum vergleichbar zu den kommunalen Gebietsreformen in Hessen 1969–1979 – kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie die eingangs genannten Studien: Fusionen sparen kein Geld, führen aber zu Demokratieverlust. Dabei verweist die Autorin der Untersuchung ín einem Gastbeitrag für die Zeitschrift Kommunal auf einen Argumentations- und Wirkmechanismus, der auch heute bei den Befürwortern einer Gemeindefusion vor Ort im Vordergrund steht: „In der Phase der Gebietsreform konnten gerade die kleinen Gemeinden besonders leicht unter Druck gesetzt werden. Denn durch ihre oftmals gerade erst getätigten Investitionen hoch verschuldet, waren die zusätzlichen Finanzmittel, die die Reformer den Gemeinden versprachen, ein Anreiz, dem kaum widerstanden werden konnte.“

Selbiges gilt für die Schweiz: Eine Studie des Zentrums für Demokratie (ZDA) spricht hier sogar von „Fusionsmythos“. Gemeindefusionen begründen keine systematischen Spareffekte, stattdessen verzeichnen sie schwerwiegende Auswirkungen auf die lokale Demokratie in Form einer geringen Beteiligung der Bürger/innen am Gemeinwesen und einem Rückgang in der Wahlbeteiligung bei kommunalen Urnengängen.

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